Digitalisierung als Organisationsentwicklung
Die Neutrik wurde 1975 als Drei-Mann-Betrieb in einem Bauernhaus in Schaan gegründet und erlebte seither ein enormes Wachstum. Das Unternehmen produziert professionelle Stecker für die Bereiche Audio, Video, Licht und Daten. Heute beschäftigt die Neutrik Group rund 1000 Mitarbeitende an mehreren Standorten rund um den Globus. Von Thomas Eberle, Head of Corporate Facility Management, war zu erfahren, dass die Neutrik pro Woche rund 1.5 Mio. Stecker verlassen, die unter anderem auf den grossen Bühnen dieser Welt, bei Film- und Fernsehproduktion, in der Formel 1 und sogar im Weltall zum Einsatz kommen. Eröffnet wurde der Anlass von Markus Goop, der sich als Initiator der Plattform digital-liechtenstein.li bei der Neutrik Group für die Durchführung des Events bedankte und mit einem Ausblick auf bevorstehende Aktivitäten den Wissenstransfer unter Fachleuten und Unternehmern ins Zentrum stellte.
In Prozessen denken
Das Vorgehen zur Entwicklung und Umsetzung der digitalen Roadmap «Fit4Future» präsentierte Horst Burtscher, Head of Corporate ICT & Digital Process Support der Neutrik Group. Die Strategie, die Digitalisierung voranzutreiben, wurde 2018 vom Verwaltungsrat verabschiedet. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete das Unternehmen mit einer in die Jahre gekommenen Version von SAP, war aber dennoch wenig prozessorientiert und jeder Standort innerhalb der Neutrik Group hatte seine ganz individuelle Lösung. Mit der Zieldefinition 2019 wurde das Digitalisierungsprojekt mit dem Titel «Fit4Future» versehen. Die zentrale Aufgabe zu diesem Zeitpunkt war, in Zusammenarbeit mit allen Bereichen die Prozesse zu strukturieren und genauestens unter die Lupe zu nehmen. In dieser Phase der Analyse wurde auch für jeden Prozess ein best-practice-Modell erarbeitet. Schliesslich mussten die optimalen IT-Lösungen identifiziert werden, wobei der Verbleib auf SAP, allerdings in neuesten und Zukunft gerichteten Versionen rasch als Voraussetzung erkannt wurde: SAP S/4 HANA. Integriert wurde die neue Software nach dem Greenfield Prinzip, also kein Update der alten Version, sondern eine Neuimplementierung auf der grünen Wiese, welche parallel zu bestehenden Prozessen aufgebaut wird. Nach der Identifikation von sieben Teilprojekten war innerhalb eines Jahres die Roadmap erstellt und vom Verwaltungsrat freigegeben worden.
Mehrere Standorte, ein Unternehmen
Glich die Neutrik Group aus digitaler Sicht eher einer Ansammlung einzelner individueller Unternehmen ist die Neutrik Group inzwischen weit vorangekommen, diese zu einem einzigen Ganzen zu entwickeln. Microsoft Cloud sorgt jetzt mit Exchange online, Teams, Share Point online und Security für ein Mail System und digitales Adressbuch für die gesamte Gruppe, Einsichten in die Kalender, Vereinheitlichung in der Kommunikation, gemeinsame Sicherheitsstandards und einheitliche Datenspeicherung und -bearbeitung. Zur Unterstützung des Vertriebs und des Marketings wurde die Applikation Salesforce integriert, welche zwar Herausforderungen betreffend die Schnittstellen zu SAP bedeutet, jedoch aufgrund des dadurch erzielten hohen Informationsgehaltes die Mitarbeiter der Neutrik Group optimal darin unterstützt, die Kunden ins Zentrum zu setzen. Dabei geht es um effiziente Akquise, die rasche Erstellung von Angeboten, Kundenbindung und Support. Die durch den Digitalisierungsprozess schon heute spürbaren Verbesserungen wurden anhand von Beispielen erläutert. Roberto Montel, Leiter der Finanzabteilung zeigte auf, wie heute Finanzkennzahlen für das Management tagesaktuell über ein BI Tool auf Konzernstufe rapportiert werden. Dazu gehören beispielsweise die Bilanz und Erfolgsrechnung, welche über die Profit Center Rechnung automatisch auf Teilbereiche aufgeteilt werden können. Über ein sogenanntes Closing Cockpit können die Monatsabschlüsse grösstenteils automatisiert erstellt werden, und gewinnen dadurch an Qualität. Auch die digitalisierte Erfassung und Archivierung von Eingangsrechnungen über einen Kreditorenworkflow, sowie das KI-basierte Spesentool für die Erfassung der Spesenbelege via Scan auf Mobilgeräten inkl. OCR Texterkennung (weltweit und just in time) zeigen eine deutliche Verbesserung und Vereinfachung in einem von vielen Teilprozessen.
Die Mitarbeiter mitnehmen
In den Ausführungen und Präsentationen der Neutrik-Spezialisten wurde stets betont, dass Digitalisierung kein Selbstzweck sein darf und die Mitarbeitenden unterstützen müsse. Von Beginn an war daher die Kommunikation wichtiger Bestandteil der digitalen Agenda. Allerdings, und hier zeigte sich das Unternehmen durchaus selbstkritisch, hätte man die professionelle Begleitung durch Change Manager früher starten können. Diese habe man durch externe Fachleute später dazu geholt, so Horst Burtscher. Wichtig sei auch gewesen, die Projektorganisation und die operativen Rollen zu klären: «Es musste erarbeitet und geklärt werden, was Prozess Eigner, Prozess Manager oder Prozess Team überhaupt bedeute, was die Abgrenzung sei und wo die Aufgaben und Kompetenzen darin liegen. Dies alles wurde mit den Betroffenen intensiv erarbeitet. Die Neutrik habe auf dem Weg bis hierhin viel erreicht und viel gelernt. Bis heute wurden 3500 interne Arbeitstage für das Projekt eingesetzt. Gemäss Planung steht man aktuell auf der Hälfte des Weges. Die Herausforderungen seien nach wie vor gross. So betonte auch Marcel Gstöhl, Vizepräsident des Verwaltungsrats: «Von Beginn an war die Digitalisierung kein IT-Projekt, sondern ein Projekt der Organisationsentwicklung. Die Mitarbeiter müssen abgeholt werden und mitgehen, sonst können die Ziele nicht erreicht werden.»
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