«Wir sind oft deutlich effizienter und schneller als andere Länder»
Interview: Andreas Laternser
Wird Liechtenstein immer digitaler?
Martin Matt: Die gesamte Welt wird digitaler, dadurch auch wir. Während wir unser Leben leben, arbeiten gehen und die Freizeit gestalten, wurde parallel eine digitale Welt aufgebaut, ein zusätzliches Angebot mit vielen Möglichkeiten und Vorteilen für uns. Ein Angebot, das permanent verfügbar ist und eine digitale Infrastruktur, die uns als Land und speziell uns als Landesverwaltung heute sehr beschäftigt.
Sylvan Fux: Die Digitalisierung und die damit einhergehende Vernetzung machen einen 24-Stunden-Service möglich. Keine Öffnungszeiten, keine Warteschlangen, schneller, einfacher und unkomplizierter Zugriff von überall. Das Leben wird schneller und flexibler. Innert weniger Jahre wird die komplette Verwaltung digitalisiert, was für uns eine Herausforderung, für die Bevölkerung eine Erleichterung ist. Und dabei beobachten wir zum einen Trends, zum anderen gehen wir jedoch auch darauf ein, was die Gesellschaft will: Alles muss heute responsive und mobile-tauglich sein, da ziehen wir natürlich mit.
Wie sieht der Weg zu einer digitalen Landesverwaltung konkret aus und welche Vorteile bietet er den Einwohnern?
Martin Matt: Klassisch arbeiten die Amtsstellen formularbasiert. Wenn jemand etwas von der Landesverwaltung will oder einen Antrag stellt, muss er alle notwendigen Unterlagen beibringen. Die Digitalisierung und die damit verbundene Vernetzung erleichtert diesen Weg, sie verbindet die einzelnen Ämter. Wer in Zukunft einen Antrag über ein Onlineformular stellt, dem werden etliche Schritte abgenommen. Die Personendaten, die Registerauszüge und viele weitere Informationen können über Schnittstellen zu anderen Bereichen automatisch bezogen werden. Das amtsübergreifende Arbeiten wird erleichtert.
Sylvan Fux: Es gibt nicht mehr etliche kleine, getrennte, sondern zentrale Systeme mit Schnittstellen. Um diese digitale Infrastruktur aufzubauen, ist jedoch auch bei den Ämtern und Mitarbeitenden ein Mindset-Wechsel notwendig.
Martin Matt: Es handelt sich dabei um eine Transformation, und das stellt immer eine Herausforderung für alle dar. In der Wirtschaft ist schon seit einiger Zeit klar: Wer nicht digitaler wird, hat heute keine Daseinsberechtigung mehr. Diese Erkenntnis ist in der Verwaltung noch nicht überall angekommen, dafür gilt es, zuerst vorhandene Strukturen aufzubrechen.
Sylvan Fux: Unsere Aufgabe besteht nicht nur darin, die technische Infrastruktur zu ermöglichen, sondern auch die Chancen aufzuzeigen, welche sich durch die Veränderung ergeben: Man wird viel effizienter.
Gibt es eine Strategie zur Digitalisierung, und wie ist der Stand der Dinge?
Martin Matt: Ja, da haben wir die Hausaufgaben gemacht. Zum einen wurde im März 2019 die «Digitale Agenda Liechtenstein» verabschiedet. Im gleichen Jahr folgten auch die E-Government-Strategie sowie die IT-Strategie. Bei der Umsetzung dieser Strategien arbeiten wir in zwei Bereichen. Zum einen haben wir zuerst die Grundlagen für die Basisdienste wie die eID.li gelegt. In einem zweiten Schritt werden Applikationen entwickelt, die darauf aufbauen. Dazu zählt beispielsweise die elektronische Baugesuchslösung. Damit wir uns einen Überblick über alle notwendigen Schritte machen konnten, wurden 2020 mit jeder Amtsstelle die notwendigen Projekte erarbeitet und schliesslich in einer Roadmap zusammengefasst. Es ergaben sich über 100 Digitalisierungsprojekte, an rund einem Drittel arbeiten wir im Moment parallel. Einige davon haben eine nicht so hohe Visibilität, andere wie der eFührerschein eine sehr hohe.
Sylvan Fux: In vielen Bereichen digitalisieren sich die Amtsstellen selbst. Wir stehen ihnen mit unserem Know-how zur Seite und stellen den Projektleiter. Zu unseren Aufgaben gehört auch, die geltenden Vorschriften und Rechtsgrundlagen – nicht nur in Liechtenstein, sondern auch innerhalb des EWR und der EU – miteinzubeziehen und in den Projekten zu berücksichtigen. Wir müssen den Überblick über alle Projekte behalten, Synergien erkennen, Schnittstellen ausmachen und somit amtsübergreifende Prozesse ermöglichen.
Blicken Sie bei Ihrer Arbeit auch auf andere Länder und Regionen und holen sich Inputs?
Martin Matt: Das ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit. 2017 verabschiedeten die Staaten der EU und der EFTA in Estland die «Tallin Declaration on eGovernment», bei der sich alle Staaten zu fünf Prinzipien und deren Umsetzung bekannten. Daraus sind viele spannende und zukunftsträchtige Projekte entstanden. Liechtenstein als Land ist zu klein, um bei solchen Treffen federführend oder mit lauter Stimme mitzuwirken, wir schwimmen eher mit den anderen Ländern mit.
Sylvan Fux: Wir sind kein «First Mover», wir warten eher ab und schauen, wie sich die Projekte in anderen Ländern entwickeln. Und das können wir uns auch leisten. Denn wenn es um die Umsetzung geht, sind wir oft deutlich effizienter und schneller, als die meisten anderen Länder. Das ist sehr gut an zwei Beispielen zu sehen: Das Covid-Zertifikat konnten wir innerhalb von nur acht Wochen umsetzen, die technischen Grundlagen hatten wir dank der eID.li und unseren Systemen bereits. Damit waren wir deutlich schneller und billiger als beispielsweise die Schweiz. Und auch beim eFührerschein ist es so, dass sich die Umsetzung für etliche Länder schwer gestaltet. Gerade erst hat Deutschland seine Lösung zurückgezogen und trifft weitere Abklärungen, bei uns hingegen steht der eFührerschein eigentlich in den Startlöchern. Aber was nützt es uns, wenn wir einen elektronischen Führerschein haben, andere Länder die Grundlagen dafür aber noch nicht mal geschaffen haben?
Martin Matt: Es ist aber nicht so, dass wir ausschliesslich passiv beobachten. Wir haben Kontakt zu Gremien, haben selbst Einsitz, engagieren uns, wo es für uns wichtig ist, und sind im Austausch mit anderen Ländern.
Werden dem Amt für Informatik ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt?
Martin Matt: Die finanziellen Mittel sind für uns nicht das Problem. Beim Amt für Informatik arbeiten heute rund 60 Personen, was im ersten Moment nicht nach wenig klingt. Um die uns gestellten Aufgaben zu meistern, sind wir jedoch sehr gefordert und personell kommen wir da an unsere Grenzen. Zudem ist die Zeit ein weiterer einschränkender Faktor. Entwicklungen brauchen Zeit, diese lässt sich nicht leicht verkürzen.
Und wie steht Liechtenstein aus Ihrer Sicht im internationalen Vergleich dar?
Sylvan Fux: Wir sind weiter, als uns andere wahrnehmen, da wir die Grundlagen für viele Bereiche bereits gelegt haben. Im direkten Vergleich mit der Schweiz würde ich beispielsweise sagen, dass wir uns sicher nicht verstecken müssen.
Martin Matt: Das hängt natürlich mit den kurzen Wegen im Land und den sehr progressiven Möglichkeiten zusammen. Durch die flachen Strukturen können wir innerhalb kurzer Zeit nicht nur die technischen Infrastrukturen, sondern auch die gesetzlichen Grundlagen schaffen und machen das auch. Ab dem 1. Januar 2023 gilt beispielsweise für Unternehmen bei der Arbeit mit Amtsstellen die Devise «digital only» und für Privatpersonen «digital first».
Sylvan Fux: In Liechtenstein ist vieles dynamischer und schneller. Zudem verfügen wir über nur zwei Verwaltungsebenen und nicht wie andere Länder über drei oder sogar mehr. Die Kleinheit kommt uns da zugute.
Arbeiten die Gemeinden parallel auch an einer Digitalisierungsstrategie?
Martin Matt: Die Gemeinden sind selbst aktiv geworden und versuchen, in der Digitalisierung zusammenzuarbeiten.
Sylvan Fux: Wir kommunizieren miteinander und schauen, wie sie sich einbringen können. Ihr Vorteil ist, dass sie von unseren Infrastrukturen profitieren und diese auch in ihr System einbinden können. Aber nicht nur die Gemeinden können von uns profitieren. Wir sind auch im Austausch mit staatsnahen Organisationen, konkret mit den LKW, der Post und der Liemobil und schaffen so Schnittstellen.
Martin Matt: Wir sind zwar die Landesverwaltung, aber wir versuchen, für das ganze Land mitzudenken.
Sylvan Fux: Auch die EU verfolgt Projekte, bei denen die private Wirtschaft miteinbezogen wird. Dabei geht es beispielsweise um Authentifikation auf privaten Webdiensten grenzüberschreitend mit staatlichen eIDs.
Martin Matt: Insgesamt rückt alles enger zusammen, die Vernetzung wird immer dichter. Die Vision sind dabei internationale Schnittstellen. Momentan ist das noch Zukunftsmusik. Aber die Geschwindigkeit, wie sich alles entwickelt, ist momentan extrem. In einigen Bereichen können sich die Rahmenbedingungen gar nicht so schnell anpassen lassen, wie der Fortschritt stattfindet.
Was sind die grössten Herausforderungen bei Ihrer Arbeit?
Martin Matt: Da gibt es zwei grosse Punkte: die IT-Sicherheit und der Datenschutz. Um Liechtenstein und die Amtsstellen vor Angriffen zu schützen, haben wir in den vergangenen Jahren unsere Ressourcen für diesen Bereich verdoppelt. Zudem wird jede Applikation, die wir live schalten wollen, zuvor einem Penetrationstest unterzogen, also einem bezahlten Hackerangriff. Dabei werden Schwachstellen ausgemacht und geschlossen. Und wir reagieren schnell. Die Sicherheitslücke in der Java-Bibliothek Log4J, die vor einigen Wochen bekannt wurde, konnten wir in unseren Eigenentwicklungen innerhalb von zwei Tagen schliessen. Wichtig für die Informationssicherheit ist auch die permanente Arbeit am Sicherheitsbewusstsein der Benutzenden, denn sie sind nicht nur oft Angriffen durch gefälschte E-Mails und Websites ausgesetzt, sondern können durch ihr sicherheitsbewusstes Verhalten einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit leisten.
Sylvan Fux: Und das ist auch notwendig. In der heutigen Zeit sind Schadsoftwares beinahe überall und sehr leicht für jeden verfügbar. So kann prinzipiell jeder mit einfachen Mitteln einen Angriff starten, insgesamt haben die Attacken auf Systeme deshalb deutlich zugenommen. Darauf müssen wir reagieren.
Und wie sieht es beim Datenschutz aus?
Martin Matt: Das ist ein sehr wichtiges, aber auch kontroverses Thema. Unser oberstes Gebot ist, die Daten zu schützen und respektvoll zu behandeln. Gleichzeitig wollen wir den Zugriff für berechtigte Stellen erlauben. Um das sicherzustellen, führen wir ständig Schutzbedarfsanalysen durch und suchen so den besten Mittelweg.
Wie weit könnte die Digitalisierung bis in 20, 30 oder gar 50 Jahren fortgeschritten sein? Welche Vision haben Sie für die Digitalisierung von Liechtenstein?
Sylvan Fux: So ein weiter Ausblick lässt sich kaum wagen. Zu vermuten, wie es in fünf Jahren aussehen könnte, fällt schon schwer. Wenn man mal zurückblickt und sich vor Augen führt, wie schnell Entwicklungen wie Computer, das Internet oder Handys den Alltag verändert haben, wird deutlich, wie schnell sich ein Wandel vollziehen kann. Und die Geschwindigkeit der Veränderungen nimmt zu.
Martin Matt: Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich mit meinem ersten iPhone – damals noch mit begrenztem Internetvolumen – von Hotspot zu Hotspot gewechselt habe, um online zu bleiben. Innerhalb kürzester Zeit haben sich die Angebote in den letzten Jahren gewandelt, und heute ist man praktisch mit jedem Abo permanent online – ganz selbstverständlich. Wie die Entwicklung weitergehen und wie es in 50 Jahren sein wird, kann ich mir nicht einmal vorstellen. Vielleicht wird dann künstliche Intelligenz eine grosse Rolle spielen, oder Virtual Reality, wie es momentan von Mark Zuckerberg und Facebook forciert wird.
Sylvan Fux: Ich sehe in der Blockchain-Technologie grosses Potenzial, und diese wird uns sicherlich auch in Zukunft weiterhin beschäftigen.
Martin Matt: Wichtig ist bei all dem, dass man nicht zu früh auf etwas aufspringt. Wie der Gartner Hype Cycle beschreibt, durchläuft eine neue Technologie einen Zyklus von anfänglich überzogenen Erwartungen bis zur Enttäuschung. Erst dann stellt sich eine Produktivität ein – und in diesem Moment werden wir aktiv.

Das Interview erschien erstmals im Jahresmagazin von «Wirtschaft regional» am 7. Januar 2022.
Follow us